Seit der Gründung von Budweiser Budvar im Jahr 1895 ist die Geschichte der Brauerei eine Geschichte des Geists.

Josef Tolar sitzt auf einem Ballen Doldenhopfen – makellos gekleidet in Anzug und Krawatte – und denkt darüber nach, wie er es mir am besten erklären kann. Sich Zeit zu lassen, ist eine Angewohnheit des alten Braumeisters von Budweiser Budvar. Er denkt sorgfältig über seine Worte nach. Er mag es, die Dinge richtig zu machen. Goldrichtig. Das ist die Denkweise, die Sie brauchen, wenn Sie dreißig Jahre lang dafür verantwortlich sind, das beste tschechische Lagerbier der Welt zu brauen.

 

Dann sieht er mich an. „Ich denke, ich würde es so ausdrücken…“, sagt er. „Für die Menschen in Tschechien ist Budweiser Budvar das Familiensilber. Man darf es niemals verkaufen. Das ist der Geist hier in der Brauerei… dieser Geist der Unabhängigkeit.“

 

Josef betont das Wort. Und er hat recht. Nicht viele Brauereien dieser Welt gehören einer Nation statt einem Großkonzern. Doch Budweiser Budvar steht seit seiner Gründung in der Stadt České Budějovice vor hundertfünfundzwanzig Jahren im Besitz der tschechischen Bürger. Heute zählen seine 10 Millionen „Anteilseigner“ zu den am meisten von Bier besessenen Menschen der Welt, sodass es vielleicht nicht verwunderlich ist, dass ein wenig des nationalen Geists in der staatlichen Brauerei und in ihrem Bier zu finden ist.

 

Doch was genau ist dieser Geist? Wie hat er im Laufe der Geschichte die Entwicklung von Budweiser Budvar beeinflusst und geprägt? Und wie hält die Brauerei diesen Geist heute am Leben? Das ist es, was ich in dieser Ecke von Südböhmen herausfinden möchte.

„Für die Menschen in Tschechien ist Budweiser Budvar das Familiensilber. Man darf es niemals verkaufen.“
JOSEF TOLAR, Braumeister, BUDWEISER BUDVAR 1983-2008.

Den Charakter einer Nation in ein oder zwei Worte zu fassen, ist nicht einfach. Wenn Sie die Einheimischen hier bitten, den tschechischen Geist zu beschreiben, erhalten Sie wahrscheinlich eine lange Liste verschiedener Antworten. Doch wenn man nach den Menschen in der Brauerei gehen kann, sehen sie sich als spielerisch, einfallsreich, pragmatisch und genial – mit einem starken Sinn für Humor und Gastfreundschaft. Eine universelle Liebe für großartiges Bier ist in einem Land, das pro Person mehr Bier konsumiert als jedes andere, selbstverständlich.

 

Auch andere Leidenschaften kommen zum Vorschein. Zum Beispiel Musik. Ich erfahre von einem alten tschechischen Sprichwort: Kein Tscheche kommt mit einem Silberlöffel im Mund auf die Welt, sondern mit einer Geige unterm Kissen. Und heutzutage ist es nicht nur Dvořák – Prag hat eine der lebendigsten Techno-Szenen Europas. Genauso ist die Nation seit jeher von ihrer Natur und Aktivitäten im Freien besessen – eine Liebe, die wiedererwachte, als das Land unter kommunistischer Herrschaft stand und ausländische Strandurlaube nicht infrage kamen. Bis heute sind in Prag am Wochenende kaum Einheimische zu finden, denn sie machen sich auf den Weg ins umliegende Grüne.

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och der tschechische Geist geht eindeutig tiefer. Ein Streifzug durch die Geschichte des Landes offenbart viele berühmte Momente von Widerstand und Trotz. Südböhmen liefert in dieser Hinsicht ein besonders bemerkenswertes Beispiel. Eine halbe Stunde Fahrt von Budweiser Budvar entfernt liegt die hübsche Hügelstadt Tábor. Auf ihrem Marktplatz befindet sich ein Museum, das Jan Žižka gewidmet ist – einem harten General und tschechischen Nationalhelden aus dem vierzehnten Jahrhundert. Sein Ruhm beruht auf seiner unerschütterlichen Entschlossenheit und seinen innovativen militärischen Fähigkeiten gegenüber Feinden, die ihm in Zahl und Waffen weit überlegen waren. Trotz des enormen Ungleichgewichts schulte und inspirierte Žižka seine kleine Armee, sich den einfallenden Supermächten Europas zu widersetzen – und sie konnte sie jedes Mal schlagen.

 

Es gibt auch friedlichere Beispiele. Man nehme die Samtene Revolution. 1989 kam es zu einem Aufstand in Prag, bei dem Hunderttausende von Tschechen auf die Straße gingen und eine Welle gewaltfreier nationaler Proteste auslösten, die schließlich das Ende der kommunistischen Ära im Land einleiteten und zur unabhängigen Tschechischen Republik von heute führten. Widerstand, Trotz und ein tiefer Sinn für Unabhängigkeit sind also alles Werte, die die Tschechen eindeutig zu dem machen, was sie sind. Und da Budweiser Budvar ihre nationale Brauerei ist, prägen diese Werte auch die Geschichte des Unternehmens.

Das ist etwas, was der derzeitige Braumeister Adam Brož gut kennt. „Schon die Gründung dieser Brauerei war ein Akt des Widerstands“, betont er mir gegenüber. „Es war eine tschechische Brauerei im Besitz der tschechischen Bürger, die auch Bier für die Menschen in Tschechien braute.“

 

Er bezieht sich auf den Moment im Jahr 1895, als rebellierende tschechische Bierbrauer, die es leid waren, dass man ihnen sagte, was sie zu tun hatten und wie sie brauen sollten, beschlossen, ihren Vorgesetzten den Rücken zu kehren und ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Sie gründeten ihre eigene, unabhängige Brauerei in České Budějovice – „Budweis“, wie man es im Altdeutschen damals nannte. Es war ein gewagter Schritt. Und riskant. Aber er brachte großen Erfolg. Die Qualität und Beliebtheit des Biers aus Budweis führten rasch dazu, dass die Nachfrage weit über die Grenzen des Landes hinausging. Und nicht nur in Europa. Bald wurde dieses erstklassige Bier aus Budweis in die ganze Welt exportiert und verbesserte die Braureputation der Stadt, die sie damals bereits seit 600 Jahren genoss.

„Schon die Gründung dieser Brauerei war ein Akt des Widerstands. Es war eine tschechische Brauerei im Besitz der tschechischen Bürger, die auch Bier für die Menschen in Tschechien braute.“

Adam Brož, Braumeister, BUDWEISER BUDVAR.

Dennoch wurde die Brauerei Budvar ähnlich wie die tschechische Nation in den kommenden Jahren vor zahlreiche Herausforderungen gestellt. Und sie musste alle ihre Rücklagen und ihren Geist nutzen, um zu überleben. Der Krieg in Europa verwüstete die tschechischen Länder. Obwohl die Brauerei so weitermachte wie bisher, vernichtete ihre Besetzung 1942 die Exportindustrie quasi über Nacht. Es würde beinahe ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Produktion wieder das Niveau aus der Zeit vor 1939 erreichen könnte. Selbst nachdem Frieden erklärt worden und die Tschechische Republik schließlich in der Lage war, den Schatten der kommunistischen Ära abzuschütteln, kämpfte die Brauerei gegen den neuen Druck auf dem offenen Markt.

 

Markenkämpfe mit AB-InBev über das Recht, die Bezeichnung „Budweiser“ im Namen „Budweiser Budvar“ zu führen, gibt es seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Und genauso lange ist die Weigerung der Brauerei, klein beizugeben – ein Kraftaufwand, der bisweilen ein Maß an Widerstand und Trotz erfordert, wie man es von Jan Žižka kannte. Vielleicht aber mit weniger Streitwagen. Doch 1994, als die Tschechische Republik für „offen für Geschäfte“ erklärt wurde, gab es auch Versuche seitens Investorengruppen und multinationalen Konzernen, Mehrheitsbeteiligungen und das Eigentum an der Brauerei zu erwerben. Budweiser Budvar folgte erneut dem Beispiel von Žižka und widersetzte sich diesen Bestrebungen – entschlossen, unabhängig und im Besitz der tschechischen Nation zu bleiben.

Das war von großer Bedeutung, denn in den 1990ern wurden auch die Produktionsmethoden des Brauwesens überall in der Welt grundlegend verändert. Seither werden immer weniger traditionelle Zutaten wie Saazer Doldenhopfen verwendet. Andere unschöne und unnötige Zutaten schlichen sich ein. Dank der Unabhängigkeit von Budvar wird das Bier wie eh und je nach dem strengen deutschen Reinheitsgebot gebraut, wonach nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser zum Einsatz kommen dürfen. Lange bevor das Tragen von Bärten und die Philosophie des unabhängigen Brauens dank der Craft-Bier-Szene weltweit wieder in Mode kamen, gewann diese Weigerung, sich selbst untreu zu werden, Kompromisse bei der Qualität einzugehen oder die langsame Reifung des Biers in den Braukellern zu beschleunigen, eine neue Generation von Fans.

 

Pete Brown, einer der bedeutendsten britischen Bierjournalisten, war einer dieser Fans.

 

„Etwas, das ich an Budvar schon immer bewundert habe, ist dieser wirklich mutige, schlagkräftige Geist der Brauerei. Sie war in zahlreiche Situationen verwickelt, die an die Geschichte von David und Goliath erinnern, und ging voller Schwung und Elan daraus hervor. Und normalerweise gewinnt sie“, erzählte er mir in London. „Ich würde ihren Geist als stark unabhängig und von Qualität besessen beschreiben. Manchmal verwenden Marken diese Worte, aber es handelt sich lediglich um Worte in einem Marketingdokument. Doch bei Budvar ist es ein echter Geist, den man spüren kann, wenn man mit den Menschen dort spricht.“

„Ich würde ihren Geist als stark unabhängig und von Qualität besessen beschreiben…Doch bei Budvar ist es ein echter Geist, den man spüren kann, wenn man mit den Menschen dort spricht.“

Pete Brown, Bierjournalisten.

Das können Sie sicherlich noch einmal sagen. Wir sind wieder bei Josef Tolar, der mich mit seinen Augen im Hopfenlager fixiert. Dieser stille Trotz und die Entschlossenheit, die Dinge richtig zu machen. In einer Brauwelt, die sich schnell und nicht immer zum Besseren verändert, ist es vielleicht das, was es für Budvar heute bedeutet, rebellische Brauer wie die Gründerväter zu sein. Vielleicht liegt die wahre Revolution im Jahr 2020 darin, sich an die Grundsätze zu halten und weiter auf die richtige Art und Weise zu brauen – koste es, was es wolle.

 

Adam Brož glaubt auf alle Fälle fest daran. Ich denke an etwas, das er vorhin erwähnt hat: „Unabhängig zu bleiben und weiter zu brauen, wie wir es schon immer getan haben, ist die Art und Weise, wie wir unserem Gründungsgeist Ehre erweisen“, merkte er an. „So bleiben wir, wer wir sind.“

Doch als die Brauerei des Landes nimmt Budweiser Budvar auch seine Verantwortung gegenüber der breiteren tschechischen Bierkultur ernst. Die Brauerei unterstützt ihre lokalen Gemeinschaften von Hopfen- und Gerstenbauern sowie die neuen Brauereien von Craft-Bier, die überall im Land auftauchen. Viele neue tschechische Brauer spüren eine tiefe Verbundenheit und ein Gefühl der Inspiration – nicht nur wegen des ihnen gemeinsamen unabhängigen Geists, sondern auch, weil Budvar noch immer im Besitz der Nation steht.

 

I begleite Budvars Biersommelier Aleš Dvořák auf seiner Reise in den kleinen Ort Potštejn im Nordosten des Landes. Wir treffen dort das Team von Pivovar Clock, einer unabhängigen handwerklichen Brauerei, um eine neue Kooperation mit Budvar zu besprechen.

Jiří Andrš, Mitbegründer von Clock, hat im Land ein deutlich steigendes Interesse an Craft-Bier beobachtet, seit er die Brauerei im Jahr 2014 startete. „Damals war das handwerkliche Brauen in der Tschechischen Republik noch sehr unbedeutend“, stellt er fest. „Heute gibt es etwa 400-500 Brauereien.“ Auch die Nachfrage nach ehemals eher landesfremden Braumethoden ändert sich. Im Programm der Brauerei finde ich amerikanisches rotes IPA, Stout, Bitter und Pale Ale. Meilenweit von Budweiser Budvars unerschütterlichem Einsatz für Beständigkeit und seine jahrhundertealte Braumethode für tschechisches Premiumlager entfernt, könnte man denken.

 

Doch wie Jiří und Jakub, der Braumeister von Clock, anführen: Ihre Leidenschaft begann damit, in einem Land aufzuwachsen, in dem Bier das Nationalgetränk ist. Budweiser Budvar ist dank seines Know-hows, seiner Qualität und seines Geists ein fantastischer Betrieb, den man auf seiner Seite haben kann, und eine hervorragende Wissensquelle, aus der man schöpfen kann. Bei diesem Stichwort lasse ich Jakub und Aleš zurück, um über das Bier zu sprechen, das sie gemeinsam brauen werden, sowie über die Zutaten und das Wissen, die Budvar beitragen kann, und mache mich auf den Weg in den Schankraum.

An der Bar füllt gerade ein ganzes Team von Radfahrern in Lycra seine Wasserflaschen mit dem frischen Schankbier von Clock. „Budvar ist unsere nationale Brauerei“, merkt Jiří an und schenkt mir auch eines ein. „Es gehört uns allen, den Tschechen. Ein Teil von Budvar gehört also mir. Wir möchten mit Budvar zusammenarbeiten, weil es eine tschechische Brauerei ist und wir eine tschechische Brauerei sind. Und wir sind beide unabhängig. Das passt hervorragend zusammen.“

 

Und da ist er wieder: der Wunsch, großartiges tschechisches Bier zu brauen, das Gefühl des nationalen Eigentums und dieser unsterbliche, unabhängige Geist. So begann die Geschichte von Budweiser Budvar vor hundertfünfundzwanzig Jahren. Es ist schön zu sehen, dass derselbe Geist noch heute an eine völlig neue Generation von Brauern weitergegeben und von ihnen am Leben erhalten wird.

 

Josef Tolar wäre sehr stolz.

„Budvar ist unsere nationale Brauerei. Es gehört uns allen, den Tschechen. Ein Teil von Budvar gehört also mir.“

Jiří Andrš, Co-founder, Pivovar Clock.